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Die Rolle der Retterin

Dieser Beitrag handelt über die Rolle der Retterin, die wir als Frau, Mutter und Tochter in unserem Leben oftmals unbewusst einnehmen. Die uns aber langfristig schadet, da wir uns selbst aufgeben und stets über unsere Grenzen gehen.



Die Rolle als Retterin

Kennst Du die Situation, dass Du Dich für das Wohlbefinden eines geliebten Menschen verantwortlich fühlst?


Uns Frauen liegt sehr viel daran, dass es den Menschen um uns herum gut geht. Dass unsere Beziehungen harmonisch verlaufen und dass wir stets helfend zur Seite stehen, wenn die Not ruft. Das mag ja auch für einen begrenzten Zeitraum funktionieren. Aber nicht, wenn dies zu einem Dauerzustand in unserem Leben wird. Dann gilt es gesunde Grenzen zu setzen, auch wenn dies vielleicht für uns selbst und den Außenstehende im ersten Moment als egoistisch erscheint.


Inhalte:


Ich nimm Dich mal mit auf eine kleine Reise zurück in meine Vergangenheit.


Als Kind bin ich sehr früh unbewusst in die Rolle der Retterin geschlüpft. Mein Elternhaus war geprägt von einer Suchtproblematik meines Vaters. Alle Beteiligten drumherum lebten par excellence die Co-Abhängigkeit. Darunter versteht man Verhaltensweisen, die dazu beitragen, dass die Suchterkrankung bagatellisiert bzw. gedeckelt wird. Nach außen wird der Schein der "heilen Familie" gewart, obwohl hinter der Fassase sehr viel Unsicherheit, ständige Alarmbereitschaft und psychischer Dauerstress herrscht.


Häufig übernehmen Partner und Kinder die Rolle des erkrankten Erwachsenen oder versuchen alles dafür zu tun, dass das Familiensystem nicht auseinanderbricht. Dies hat zur Folge, dass Kinder bereits in jungen Jahren in einer permanenten Überforderung leben, da sie versuchen eine Rolle einzunehmen, der sind auf keinen Fall gewachsen sind. Sie können ihren eigenen psychsozialen Entwicklungsprozess nicht oder nur mit großen Hürden durchlaufen, um ihre eigene Identität zu entwickeln. Dies kann sich im Erwachsenenalter u.a. darin äußern, dass man sich im Leben sehr unsicher und für alles verantwortlich fühlt, dass keine gesunden Grenzen gesetzt werden und das Betreiben einer gesunden Selbstfürsorge ausbleibt. Diese wichtigen Lebensbausteine hat man schlicht und ergreifend nicht gelernt bzw. erfahren. Denn zum einen waren die Vorbilder nicht da und die Erwachsenen - in diesem Fall die Eltern - waren mit sich und ihren Herausforderungen so sehr beschäftigt, dass sie das Kind mit seinen Bedürfnissen entweder gar nicht oder nur sehr unzureichend wahrnehmen konnten. Denn wir bereits erwähnt, die oberste Porität bestand darin, das Familien- und auch Suchtsystem aufrechtzuhalten - mit allen Mitteln!


Und jetzt kommt noch eine wichtige Sache hinzu. Jedes Kind trägt das große Bedürfnis in sich, die Eltern glücklich zu sehen. Unbewusst fühlen sie sich auch für das Glück der Eltern verantwortlich. Kinder sind wie ein Seismograph - sie nehme jede Gefühlsregung ihrer Eltern wahr. Auch Streitigkeiten, die nicht vor dem Kind ausgetragen werden, nimmt das Kind dennoch auf der unbewussten Ebene wahrgenommen.


In meinem Fall war es so, dass ich die tiefe Traurigkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigeit meiner Eltern fühlte. Mit den Mitteln und Fähigkeiten, die mir damals als kleines Kind, Teenager und junger Erwachsener zur Verfügung standen, habe ich stets versucht - insbesondere meine Mutter - vor Unheil zu retten. Ich hatte eine sehr enge Bindung zu ihr, weil sie für mich die einzige Konstante in meinem Leben war. Sie hatte die Rolle meines Vaters mit übernommen, erzog uns Kinder, nährte uns und war damit unsere wichtigste Bezugsperson. Im Umkehrschluss haben wir als Kinder alles getan, um sie glücklich zu machen. Wir glänzten mit guten Leistungen und standen sehr früh auf eigenen Beinen, weil wir sie nicht zusätzlich belasten wollten.


Und ja im Unterbewusstsein war immer noch der Wunsch, dass unser Vater endlich trocken und der Vater werden wird, den wir uns von Herzen wünschten. Auch hier taten wir alles, damit wir ihn nicht verlieren. Umso größer war jedes Mal die Enttäuschung, wenn es wieder zu einem Rückfall kam.


Die Co-Abhängigkeit im Rahmen einer Abhängigkeitserkrankung ist die eine Sache. Aber es gibt auch andere Lebenssituationen, wo wir als Kinder versuchen unsere Eltern oder ein Elternteil zu retten, weil die Eltern sich beispielsweise getrennt haben und der zurückgebliebene Elternteil sehr viel Trost und Halt benötigt. Oder wenn ein Elternteil oder Geschwisterkind verstirbt und die plötzlich entstandene Lücke gefüllt werden muss. Oder wenn ein direktes Familienmitglied schwer erkrankt und auf permanente Hilfe angewiesen ist.


Laut der Systemischen Psychologie wird die Familie als ein System verstanden, in dem jedes Familienmitglied in diesem System eine eigene Rolle übernimmt und alle Familienmitglieder in direkter Wechselwirkung aufeinander reagieren.


So kam ich schon sehr frühzeitig in die Rolle der Retterin, die ich später auch in allen Lebensbereichen auslebte: in der Partnerschaft, im Job, im Freundeskreis und natürlich auch später als Mutter.

Natürlich brauchen wir in unseren Beziehungen, in unserer Familie und im Job die Rolle der Retterin oder des Retters. ABER: Die Dosis macht hier das Gift!


Oben hatte ich es bereits erwähnt, dass wenn wir bereits in frühen Jahren oder über eine lange Zeit die Rolle der Retterin leben, bekommen wir keinen oder einen sehr lückenhaften Zugang zu unserer eigenen Identität und in diesem Fall zu uns selbst. Wir leben angepasst, richten uns immer nach dem anderen, übergehen unsere Bedürfnisse und stehen nicht für uns ein. Auch wenn davon überzeugt sind, diese oder jene Entscheidung selbst getroffen zu haben, treffen wir diese eher so, wie der andere sie gerne hätte, weil er sich damit einfach besser fühlt.


Oder wir missachten unser persönliches Wohlbefinden, weil wir erstmal gar nicht gelernt haben, uns selbst zu fühlen. Denn die Retterin fühlt eher den Menschen, der in Not ist, als sich selbst. Damit ist die Retterin im Alltag ganz oft von sich und ihrem Körper abgespalten - Gefühle, Gedanken oder köperliche Beeinträchtigungen wie Schmerzen, Verspannungen, etc. werden schlicht übergangen oder erst gar nicht wahrgenommen.


Als Retterin sehen wir die Stärken, Talente und Herausforderungen unseres Gegenübers. Bei uns selbst tapsen wir eher im Dunkeln. Warum sollten wir das auch wissen wollen, denn die volle Aufmerksamkeit ist auf unser Umfeld gerichtet.


Zu Beginn sind wir mit voller Elan dabei. Aber irgendwann beginnt die Kraft zu schwinden. Wir fühlen uns leer und erschöpft. Unser schlechtes Gewissen und die Angst vor Ablehnung oder Liebesentzug treibt uns dennoch weiter an, bis dann der ultimative Knall kommt!

So, wie es bei mir dann gekommen war mit knapp 40 Jahren. Mein Burnout nockte mich in der Rolle als Retterin aus. Lese gerne hier mehr darüber!


"Über den Weg in die Gesundung musste ich erstmal lernen, mich selbst zu retten!"

Ich habe erst mit Anfang 40 verstanden, was all die Jahre nicht so gut lief. Welche Herausforderungen dazu beigetragen haben, dass ich mich überwiegend in der Rolle der Retterin befand.


Ich begann erstmals ganz bewusst eine Verbindung zu mir selbst aufzubauen - zu meiner Seele, meiner Gefühlswelt und zu meinem Körper. Ich fand heraus, was zu mir passt und was nicht. Welche Bedürfnisse ich habe und was ich brauche, damit es MIR gut geht. Denn mir wurde bewusst, dass nur ich dafür sorgen kann, dass es mir gut geht. Niemand anderes ist dafür verantwortlich oder kann diesen Part für mich übernehmen.


Niemand kann mich glücklich machen. Auch das allein ist mein Job! Im Umkehrschluss bedeutet dass, dass auch ich niemanden glücklich machen kann. Vielleicht für einen kurzen Moment, weil ich für die Person da bin oder sie mit etwas Schönem überrasche. Aber nicht auf Dauer, denn jeder ist seines Glückes Schmied.


"Jedes NEIN ist ein JA zu Dir selbst!"

Ich begann mehr "Ja" zu mir selbst und "Nein" zu meinem Gegenüber zu sagen. Ich distanzierte mich von dessen Problemwelt und versuchte nicht die Feuerwehr zu spielen, wenn sie vorab vergessen hatte, entsprechende Brandschutzvorkehrungen zu treffen.


Das ist nicht immer leicht, vor allem dann nicht, wenn es den engsten Familienkreis betrifft. Gerade in den letzten Monaten wurde ich aufgrund eines plötzlichen Pflegefalls meiner Mutter extrem auf die Probe gestellt. Wenn Du bereits viel in Sachen Persönlichkeitsentwicklung unternommen hast, spätestens bei Deinen Eltern weißt Du erst, wie weit Du wirklich gekommen bist. Denn unsere Eltern drücken unbewusst die Knöpfe, die uns ganz schnell wieder in das Kindesalter zurückkatapultieren.


Aber dieses Trainingsfeld in den letzten Monaten hat mich noch mal in Sachen Selbstfürsorge und Niederlegen der Rolle als Retterin extrem unterstützt. So dass ich dies auch auf andere Lebensbereiche für mich immer besser umsetzen kann. Und damit auch meinem Kind zeige, dass eine gesunde Selbstfürsorge nichts mit Egoismus zu tun hat. Sondern, dass dies ein Beitrag meiner Liebe und Wertschätzung zu mir selbst ist. Und, dass sich destruktive Verhaltensweisen auch noch in der Lebensmitte in förderliche verändern lassen.


Wenn Du Dich selbst mit diesem Thema tiefer auseinandersetzen möchtest, gebe ich Dir eine kleine Auswahl an Fragen an die Hand, die Dich bei Deiner Selbstreflexion unterstützen können:


  • In welchen Situation oder Lebensbereiche lebst Du aktuell die Rolle als Retterin?

  • Wie fühlst Du Dich dabei?

  • Gab es Situationen in Deiner Kindheit, wo Du diese Rolle unbewusst übernommen hast? Was könnte Deiner Meinung nach dafür die Auslöser gewesen sein?

  • Wie fühlst Du, wenn Du diese Rolle zum Beispiel nicht ausleben bzw. erfüllen kannst? Was macht das mit Dir?

  • Wie kannst Du Dich darin unterstützen, Stück für Stück mehr Selbstfürsorge in Dein Leben zu integrieren? Was braucht es konkret dafür?

  • Was könnten die ersten Schritte dazu sein? Benenne hier mindestens drei Punkte!

  • Wie setzt Du konkret den ersten Schritt um?

  • Wie könntest Du Deine Lebenszeit anderweitig nutzen, wenn Du nicht permanent die Rolle der Retterin lebst? Mit welchen Dingen würdest Du die Zeit anders nutzen?

  • Wie würdest Du Dich fühlen, wenn Du Dich zukünftig NICHT für das Wohl und Glück Deines Gegenübers verantwortlich fühle? Schließe die Augen für einen kleinen Moment und fühle diesen Gedanken in Deinem Körper nach? Was passiert gerade in Deinem Körper?


Von Herzen wünsche ich Dir hilfreiche Impulse beim Beantworten Deiner Fragen.

Wenn Du magst, teile gerne Deine Erkenntnisse mit mir. Schreib mir dazu ein Kommentar oder Nachricht (via Mail oder auf Instagram).


Ich freue mich von Dir zu Lesen!


Mit ganz viel Liebe geschrieben für Dich, Deine Nicole


Fotocredit: Jared Subia (Unsplash)


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